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Film+09

Hommage

Barbara Hennings

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Da hängt mein Leben dran
Ein Interview mit Barbara Hennings. Von Oliver Baumgarten

Wie hat es Sie ausgerechnet zum Filmschnitt verschlagen?

Der Nachbar unserer damaligen Wohnung arbeitete bei der Werbeagentur Lintas, und irgendwoher hatte er die Info, daß es da eine neue Ausbildung gibt. Er meinte die Arbeitsgemeinschaft Nachwuchsförderung für Film und Fernsehen in Hamburg, in der damals sechs oder acht Firmen organisiert waren, die Geyer-Werke, Atlantik Film, Studio Hamburg, NDR, Radio Bremen usw. Auf Initiative von Gyula Trebitsch hatten sie diese Nachwuchsförderung ins Leben gerufen, das war 1962, also kurz nach Gründung des ZDF, als der Markt leergefegt war und sie dringend Leute brauchten. Für April 1962 hatte ich mich also beworben, da war ich blutjung und noch grün hinter den Ohren. 600 Bewerbungen hatten sie für neun Plätze.

Wie nannte sich die Ausbildung?

Das nannte sich damals Ausbildung zur Cutter-Hilfe. Das Wort Assistent durfte nicht benutzt werden, weil es wissenschaftlich belegte war. Die Ausbildung dauerte damals anderthalb Jahre, und jedes halbe Jahr wechselte man die Firma. Ich hatte Glück, ich kam zuerst zu Geyer ins Kopierwerk, dann zu den Alster Studios, und das war gut für mich, denn da wurde ich stark mit dem Ton vertraut gemacht. Also es waren vorwiegend Mischgeschichten, Synchronisationen, da wurdest du eben als Assistentin eingesetzt, um Schleifen zu kleben und so weiter. Der Chef des Hauses machte die Synchrongeräusche noch selber, und immer wenn es Massenszenen gab, mußte die komplette Belegschaft mit ins Studio und jeder machte dann für seine Figur die Geräusche. Dort habe ich die Liebe für den Ton entdeckt. Danach kam ich ins Studio Hamburg und war drei Wochen im Atelier, als STAHLNETZ mit Jürgen Roland gedreht wurde. Danach musste ich dann von heute auf morgen in den Schneideraum und kam zur damaligen Cutter-Päpstin in Hamburg, Alice Rasch-Ludwig.

Was haben Sie da machen dürfen?

Sie hatte gerade HAFENPOLIZEI und danach noch ein Fernsehspiel, aber ich weiß nicht mehr welches. Bei HAFENPOLIZEI kam ich in ihren Schneideraum. Nach dieser Zeit musste ich einen Vertrag beim NDR annehmen. Das war gekoppelt an das Volontariat, für das du dich bei einer der angeschlossenen Firmen für ein Jahr verpflichtetest. Und ich bekam aus mir unerfindlichen Gründen einen Vertrag beim NDR, obwohl ich dort vorher gar nicht war, und kam als Assistentin zur „Tagesschau“.

Also das ganz aktuelle Geschäft…

Genau, Schichtdienst: Frühschicht, Mittelschicht, Spätschicht. Das habe ich für ein Jahr gemacht und dann sehr zum Entsetzen der Herren dort gesagt: „Ich möchte meinen Vertrag nicht verlängern.“ Ich wollte einfach etwas anderes machen, in der „Tagesschau“ habe ich letztendlich zusammengeklebt, noch mit Hobel und Klebelade, nicht mit Stumpfklebepresse oder so. Immerhin, Schnelligkeit hatte ich mir da angeeignet, viel mehr konnte ich in meiner Situation aber nicht mehr lernen dort. Und Alice Rasch-Ludwig muss mit mir zufrieden gewesen sein, denn sie hat mich wieder genommen als freie Assistentin mit Wochengage. Und dann bekam ich im August 1964 einen Anruf vom Chef von den Alster Studios: „Ich habe einen Film für Dich, schneide den mal.“ Das war eine Folge von HARDYS BORDBUCH. Das hat Hardy Krüger damals mit Dieter Seelmann zusammen gemacht, das waren begeisterte Flieger, die beiden. Mein Film hieß damals glaube ich »Irgendwo am Rio Djingu«, ein 45minüter. Und das war, wenn du so willst, mein erster eigener Schnitt – drei Werbespots ausgenommen, die ich vorher gemacht hatte.

Und wie ging es dann weiter? War es schwierig, in der Editorenszene der Stadt sich zu etablieren?

Ich weiß nicht, ob es damals schlimmer war als heute, Konkurrenz gibt es immer. Als Alice Rasch-Ludwig zum Beispiel mitkriegte, dass ich meinen ersten Film schnitt, das muss ja Pipifax für sie gewesen sein, gar keine Konkurrenz, aber fortan hat sie mich nicht mehr gegrüßt. Die Existenzangst muss bei einigen groß gewesen sein, ich habe sie nie gehabt, weil ich immer gesagt habe: „Im Notfall gehe ich in den Hafen Kohlen schippen.“ Diese Einstellung hat mir am Anfang geholfen, denn du fängst ja nicht direkt mit Spielfilmen an, du musst dir ja einen Namen erarbeiten, und das dauert. Die ersten zehn Jahre habe ich Nachrichten, Reportagen, Reisedokus, geschnitten, auch eine Menge Videoclips, wenn man so will. Das waren Promotionfilme von Bands, so habe ich etwa stundenlang Les Humphreys, Peggy March und Jean-Claude Pascal geschnitten, wie sie auf Playback durch die Gegend geistern. Und ich habe ab und zu mal Werbung gemacht, Imagefilme nannten wir das früher. Und immer wenn eine Flaute kam, habe ich Synchron gemacht, SKIPPY, DAS BUSCHKÄNGURUH zum Beispiel. Damit konnte ich mich immer über Wasser halten. und wenn du dann einen Job reinbekamst, konntest du die Synchro am Wochenende schneiden, das war ja nicht so fix terminiert, Hauptsache es war zur Mischung fertig. Das war schon ganz hilfreich.

Als Sie dann zum Spielfilm kamen, hat sich die Art Ihrer Arbeit geändert?

Naja, das technische Metier ist anders. Du musst das Material anders sortieren, anders strukturieren. Wer das zum ersten Mal macht, muss seinen eigenen Weg finden, der eine schneidet so, der andere so. Ein Kollege, ich weiß nicht wie der das macht, der hat einfach nur die Teile rausgenommen, die er gut findet und sie zusammengeklebt. Mit so einer großen Rolle hätte ich gar nicht arbeiten können. Von Beginn an habe ich die einzelnen, unterschiedlichen Takes auf Rollen gepackt. Jede Person auf eine Rolle. Während des Sichtens habe ich mir ja schon Schnitt-Gedanken gemacht, manchmal auch eingezeichnet mit dem Fettstift: Wo ist eine schöne Reaktion? Dann habe ich losgelegt mit der ersten Einstellung, von vorn an, mit Pseudo-Startband. Und so entstand schon mein Schnittrhythmus, da kam der Blick, dann wurde wieder drangeklebt, dann wieder geguckt. Also dran kleben, markieren, linker Fuß, rechter Fuß, was weiß ich, worauf du technisch achten musst, und dann hast du es wieder zusammengeklebt und die anderen Teile schön aufgehängt als Ausschnitt und so wuchs langsam die Szene. Aber ich hätte nicht anders schneiden können.

Machen Sie es im Digitalschnitt heute noch genauso?

Da habe ich ja als Datenverwalter auf alles sofort Zugriff. Aber grundsätzlich sortiere ich im Avid noch genauso. Auch meine Herangehensweise ändert sich nicht, denn ich schneide wirklich aus dem Bauch heraus, das ist ein innerer Rhythmus. Wenn ich Muster gucke, was ich dort an Emotionen fühle, das will ich versuchen zu konservieren. Wenn ich meinen ersten Schnitt der Szene ansehe und das Gefühl, das ich beim ersten Gucken der Muster hatte, stellt sich nicht wieder ein, dann habe ich Mist gebaut. Das ist beim Avid nicht anders als analog am Steenbeck.

Haben Sie in Ihrer Karriere mal erlebt, vielleicht am Anfang, dass Regisseure beim Schnitt dabei sein wollten?

Ich habe immer abgelehnt, solche Filme zu schneiden. Wenn ich mit dem Regisseur die Muster gucke und an einer Stelle nicht weiß, wo ich schneiden soll, müsste ich mich nur zum Regisseur umdrehen und fragen: „Wie hast du dir das denn hier vorgestellt?“ Aber dann setze ich mich nicht mehr auseinander mit dem Material. Ich habe es nie gemacht und würde es auch nicht wollen. Es gibt natürlich mal Szenen, mit denen man nicht zu Potte kommt, wo es gut wäre, mit dem Regisseur zu sprechen, denn wenn ein Bild oder das Material nicht sagt, wo es hin will, dann musst du nachfragen. Aber dann stellst du häufig fest, dass es da auch am Drehort Probleme gab. Sei es der Schauspieler, sei es wettertechnisch, sei es Ausstattung, sei es, dass anderweitig etwas nicht funktioniert hat: Man merkt das als Editor, wenn man dran schneidet. Das merkst du nicht unbedingt beim ersten Mustergucken, aber dann, wenn du dran gehst, wenn du vertiefend guckst, wenn du anders guckst.

Das ist doch wohl auch das Zentrale an dem Beruf, so dicht an dem Material dran zu sein wie eigentlich niemand anderes, oder?

Genau, und wenn Du merkst, dass es knirscht und am nächsten Tag fragst, dann hörst du: „Ja, das war ein Problem.“ Details kriegst du dann nicht, will ich aber auch nicht. Ich habe eine Zeit lang zusätzlich zum Schnitt auch Regie-Assistenz gemacht, habe es aber aufgegeben.

Diese Verbindung war früher sehr üblich, oder?

Das war früher üblich, da hieß es noch Script, woraus sich dann die Regie-Assistenz entwickelte. Es hat ja auch was für sich, Schnitt und Regie-Assistenz zu koppeln, aber andrerseits hat es den Nachteil, dass du jeden Mist vom Set mit in den Schneideraum nimmst. Du bist dem Material gegenüber vorbelastet. In einer Szene eines Films von Michael Verhoeven, den ich geschnitten habe, geht die Tür zu, und Michael Verhoeven sagte bei der Sichtung: „Das geht nicht, da musst du früher schneiden.“ – „Warum muss ich da früher schneiden?“ – „Die Tür ging nicht zu.“ – „Wie, die ist doch zu?“ – „Da lag ein Kabel.“ – „Ich sehe das Kabel aber nicht. Für mich ist die Tür zu.“ Vielleicht ist sie beim Drehen nicht ins Schloss gefallen, aber für den Betrachter ist die Tür zu, wenn ich auf bestimmte Weise schneide und ein entsprechendes Geräusch drüberlege. Da habe ich dann auch gedacht: „Wie gut, dass man all das vom Set nicht weiß.“

Wie sieht die erste Version aus, die Sie schneiden?

Die erste Schnittfassung ist eine Drehbuchschnittfassung. Das ist ein geschnittenes Drehbuch. Da ist erst mal alles drin, selbst wenn du im Schnitt schon sagst: „Na, die braucht man vielleicht nicht unbedingt.“ Aber ich will es trotzdem anbieten, will dem Regisseur die Möglichkeit geben, genauso zu reagieren wie ich, denn er hat es schließlich gedreht und nicht im Drehbuch schon gekürzt. Außerdem weißt du vorher ja nicht, wie lang der Film wird. Es gibt natürlich Vorstopzeiten, aber das sind lediglich Annäherungen. In einem eingespielten Team stoppt der Regie-Assitent sicher anders als für jemanden, für den er das erste Mal arbeitet. So wie ich sicher auch ein bisschen anders schneide für jemanden, den ich schon kenne. Wenn ich mit dem schon mehrere Filme gemacht hab, dann habe ich das Gespür für Vorlieben, die es bei der Regie genauso gibt wie beim Editor. Der eine mag es immer, mit einem bestimmten Geräusch anzufangen und hat hinten gern diesen Ausklang, der andere ist offen für große Überraschungen, dem Schnitt von einer Riesentotalen in die Nahe. Der eine kann es überhaupt nicht haben, wenn du etwas in den Rücken erzählst, der andere hat es total gerne, der sagt: Emotionen erzählen sich über den Rücken.

Was sind denn Ihre Vorlieben?

Es hängt vom Thema ab, aber ich mag es zum Beispiel nicht so sehr, wenn ich jedes Mal ein Bild mit der Totalen einleite. Für mich erklärt sich ein Raum auch anderweitig. Ich habe die Totale schon eher mal am Schluss oder in der Mitte. Aber es hängt vom Material ab. Außerdem weiß ich, dass eine meiner – vielleicht etwas übertriebenen – Leidenschaften Blicke sind. Da neige ich vielleicht auch manchmal dazu, sie zu sehr auszukosten. Andererseits: Kürzen kann man immer. Aber für mich entwickeln sich Emotionen und Gefühle über Blicke. Die schauspielerische Leistung vorausgesetzt, kann so ein Blick schon viel erzählen, da bin ich eben nicht der Kurz-kurz-Schneider, denn ich kann mit diesen Kurz-kurz-Blicken nichts anfangen, mir kribbelt nichts im Bauch. Denn wenn das einen gewissen Rhythmus hat, dann entwickelt sich die Emotion, und ich heule, manchmal sogar bei eigenen Filmen.

Beim Mustergucken?

Beim Mustergucken, manchmal auch noch nach dem Schnitt.

Wo wir gerade vom Mustergucken sprechen: Haben Sie den Eindruck, dass sich das Auflösen geändert hat mit den digitalen Medien?

Ich habe bis jetzt keinen Spielfilm geschnitten, der ausschließlich digital gedreht wurde, bis auf einen Kurzfilm, FRAUEN, JAZZ UND SCHUHE, das war aber HD. Insofern kann ich aus eigener Erfahrung dazu nichts sagen. Ich habe nur von den Kollegen gehört, die viele Dokumentarfilme schneiden, dass die Leute da zum Teil – entschuldige bitte – wie die Geistesgestörten drehen. Man hat ja das Gefühl, eine Doku kann nicht mehr unter 200 Stunden Material haben, und das ist idiotisch. Das mag bei Langzeitstudien mal sinnvoll sein, aber ich sehe keinen Grund, warum man für einen Dokumentarfilm, dem ja auch eine gewisse Idee zugrunde liegt, ein gewisses Konzept, warum man da 200 Stunden drehen muss. Und selbst wenn, dann muss ich entsprechend Zeit haben, das Material zu sichten und entsprechend in Ruhe zu bearbeiten. Man muss das erst mal verdauen im Kopf, 200 Stunden. Und wie willst du das strukturieren, du musst das ja sortieren.

Oder transkribieren…

Das, was Brigitte Kirsche gemacht hat, das Arbeiten mit Textbausteinen, das wirst du ja so fast nicht mehr finden. Die meisten wird die Zeit dafür fehlen, und wenn das jemand für Dich vorsortiert, bist du als Editor ja schon wieder außen vor. Wenn man heute so arbeiten will, dann muss man auch die Schneidezeit ändern. Vielleicht gibt es den einen oder anderen, der sich diese Zeit nimmt, aber wenn man sich so umhört, dann denke ich nicht, dass viele diese Zeit so haben.

Womit wir bei einem Thema sind, das für Sie stets von großer Bedeutung war: das politische Moment Ihres Berufs. Sie sind Gründungsmitglied des Bundesverbandes Filmschnitt Editor e.V. (BFS) und waren als geschäftsführender Vorstand jahrelang filmpolitisch sehr aktiv. Wie kam es dazu?

Ich war schon immer ein politischer Mensch und bin in die Verbandsarbeit so hineingewachsen. Das war für mich eine Chance, dem von mir geliebten Beruf in der Öffentlichkeit, also auch in der filminternen, Gewicht zu verleihen, das war die eine Seite. Die andere bestand im Solidargedanken: Wie kann man sich untereinander stützen? Was machst du für Verträge, wo hast du deine Schwierigkeiten? Dieser Solidargedanke hatte bei mir immer schon ein bisschen mehr Gewicht.

Wie lange waren Sie geschäftsführender Vorstand?

Von den ersten 20 Jahren des Verbandes war ich es insgesamt 12 Jahre.

Was ist in den letzten 20 Jahren die wichtigste Entwicklung für den Berufsstand der Editoren gewesen?

Eine der größten Aktivitäten, eine zeit- und geldschluckende Angelegenheit, war die Urheberrechtsfrage. Das hat sich bestimmt über vier Jahre hingezogen inklusive des Prozesses, den die Verwertungsgesellschaft Bild-Kunst im Namen von Juliane Lorenz und mir geführt hat, um die Miturheberschaft überhaupt rechtlich durchzusetzen. Zu Anfang noch hatten wir uns mit dem Kameraverband zusammengetan und wollten ein Rechtsgutachten gemeinsam erstellen. Dann aber wollte doch jedes Gewerk lieber sein eigenes Ding machen, und so ist es dann leider auch gelaufen. Die Gewichtung, wie heute die Urheberschaft zwischen Kamera und Schnitt nun festgelegt wurde, stimmt aus meiner Sicht nicht. Ich stehe dazu, dass die Kameraleute insgesamt einen etwas größeren Anteil an der Urheberschaft haben, aber die Schere, die da aufgemacht wird, entspricht nicht dem, was ich unter der Kreativität unserer beiden Berufe sehe. Ich denke, ein Film ist immer eine Teamleistung, es geht Hand in Hand, und wir im Schneideraum sind diejenigen, die das sortieren, was all die anderen sich gedacht und gemacht haben.

In Ihre aktive Verbandszeit fiel die Digitalisierung – wie bewerten Sie den Verlauf dieser Umstellung im Bereich des Schnitts?

Für mich fühlt es sich ein bisschen wie eine Niederlage an, dass es uns nicht gelungen ist zu verhindern, dass mit dem Schritt zur Digitalisierung die klassische Assistenz im Grunde weggefallen ist. Der Assistent, der dich begleitet, der im Schneideraum war und der anhand deiner Kommentare stetig an die Materie herangeführt wurde, das ist eben durch die digitale Welt verloren gegangen. Es war damals ein Verkaufsargument für die Geräte, die ja inklusive Peripherie teuer waren, indem es hieß: „Sie sparen einen halben Tag den Assi.“ Und das ist eben nicht wirklich wahr, das hängt von der Regie ab, es hängt vom Material ab, das kommt. Man kann nicht sagen, man spart einen halben Tag ein. Wenn es ordentlich gemacht wird, so wie sich das gehört, Eindigitalisieren, Beschriften, in die richtigen Bins packen, das Sortieren – das braucht Zeit. Und wer will dir garantieren, dass keine technischen Fehler im Material sind? Das kann nur der Assi. Das heißt, er muss es in Echtzeit angucken und hingucken, ohne dass er angelegt hat. Du kannst nur eins zu einer Zeit. Wir müssen den Rückschritt finden zu einer Vollassistenz, denn bei HD geht das nicht anders, da bist du wirklich einen Tag beschäftigt. Ich habe nur noch ganz selten mal meinen eigenen Assi, meist nur stundenweise, der da durchrauscht und wohlmöglich zwei oder drei Projekte betreut. Der ist nur am Eindigitalisieren, dann hat er vielleicht eine kurze Mittagspause, dann ist er wieder beim nächsten Projekt. Der hat keine Chance sich hinzusetzen und zu sagen: „Ich schneid mal irgendwas.“ Das Gerät bietet es ihm ja förmlich an, dass er üben kann, das ist ja der Vorteil an diesem Gerät, doch er kann diese Chance nicht nutzen.

Der Kampf um die Assistenzen führte dann auch zum Weiterbildungsprogramm an der ifs?

Wir merkten: Der Kampf ist im Grunde verloren, als Olla Höf Pläne zum Ausbau der noch jungen ifs bekam. Also wandten wir uns an den damaligen Filmstiftungschef Dieter Kosslick, den wir beide aus Hamburger Zeiten ganz gut kennen, und der war nicht abgeneigt, meinte, er brauche ein Konzept. In Berlin und Hamburg haben wir also ein Wunschausbildungs-, Weiterbildungskonzept erstellt, das dann erstmal eine Weile gärte. Und dann kam das Filmfest in Lünen, auf dem das erste Mal der Schnitt Preis verliehen wurde, wo Dieter sagte: „Jetzt wird’s eilig!“ Und dann ging es los. Wir haben uns hingesetzt und das Konzept besprochen, diskutiert und auch im Laufe der Jahre immer wieder modifiziert. Die Weiterbildung war am Ende auch für viele sehr hilfreich, glaube ich.

Das Weiterbildungsprogramm ist nun in den Bachelorstudiengang „Editing Bild und Ton“ übergegangen und erfüllt damit auch Ihre stete Forderung danach, dass Editoren immer beides beherrschen können müssen, das Bild wie den Ton.

Bei manchen Kollegen fliege ich vom Hocker, wenn ich mal bei denen reinschaue, nicht weil die Schnitte so toll sind, sondern weil der Ton so einandergestückelt ist. Sie haben oft nicht gelernt, dass das eine Parallelhandlung ist, dabei ist ja gerade das ein Vorteil des Avid, die Tonbearbeitung. Wenn ich eine Szene habe und du redest und ich quatsche im Off, dann muss ich den Ton aus dem On von mir da drauf packen, sonst verstehe ich das nicht. Und das merke ich bei einigen jungen Kollegen, da fehlt ihnen Handwerkszeug. Es macht aber einen guten Editor aus, dass er Bild und Ton zusammennimmt. Das ist das Vorteil an diesem Studiengang, den wir ja bewusst Bild UND Ton genannt haben, damit wir wieder dahinkommen. Uns war auch wichtig an dieser Ausbildung, dass die Studenten einen eigenen Film schneiden am Steenbeck, auch den Ton. Dann lernen sie nämlich, dass man eine Straßenatmo nicht einfach irgendwo schneiden kann, da gibt es Schnittkriterien, wo man einen Ton schneiden muss. Wenn sie das lernen, dann haben sie Handwerkszeug, dann bekommen sie Ohren dafür. In den Tonbesprechungen mit den Soundeditoren können sie auf den Punkt kommen, das Layout so hinlegen, wie es später sein soll, dass es dramaturgisch überbrückt oder auch kaschiert.

Was in der komplizierter werdenden Postproduktion nur von Vorteil sein kann, um die Tonvorgaben vernünftig kommunizieren zu können.

Natürlich, in der Tonbesprechung gibst du Dinge vor, in Zusammenarbeit oder Absprache, vermittelst deine Wünsche ja auch schon durch die Layouttöne, die du in der Szene unterpackst. Das ist wichtig. Und wenn dir jemand das erklärt und das an einem Beispiel macht, dann ist das eingängig, dann speicherst du das.

DIE WEIßE ROSE war Ihr erster Kinofilm, wie haben Sie Michael Verhoeven kennengelernt?

Michael Verhoeven ist eigentlich Münchner und hat den Fernsehfilm Am Südhang in Hamburg gemacht. Ich kam dazu über eine Produktionsfirma, für ich die Reise-Dokus gemacht haben. Der Produktionsleiter hatte mir „einen Film weggenommen“ von denen und als Wiedergutmachung kriegte ich dann quasi „Am Südhang“. So bin ich zu Verhoeven gekommen, das war schon sehr aufregend. Wir haben abends zwar immer gemeinsam Muster geguckt, aber er ist nie in den Schneideraum gekommen, um mal zu sehen, was ich da so mache. Ich dachte, nach einer Woche oder zehn Tagen kann man als Regisseur ja durchaus mal gucken, was die da oben so macht, um zu sagen, ob die Richtung stimmt. Als ich mittlerweile 30 Minuten oder so geschnitten hatte und meine Assistentin immer wieder nervte zu fragen, wann denn wohl „der Herr Doktor“ mal käme, konnte sie das nicht mehr hören. An einem Freitagabend, das werde ich nie vergessen, nach der Vorführung, das war damals noch eine richtig große Vorführung im Studio Hamburg, da meinte sie: „Herr Doktor, wann kommen Sie denn mal in den Schneideraum, Barbara wartet schon.“ Und Du hörtest zwei Felsbrocken, und zwar seinen und meinen. Keiner hatte sich getraut, den anderen mal zu fragen. „Kann ich denn mal was gucken?“ oder „Möchten Sie mal was gucken?“ Da kam er sofort, er hatte morgens Zeit. Und wir haben uns getroffen, und das muss ein Bild für die Götter gewesen sein. Denn der Doktor Verhoeven saß am Schneidetisch und ich nervös in der Ecke. Und der Film lief, erst war er ganz weit vorgebeugt, dann lehnte er sich immer weiter zurück, bis die 40 Minuten vorbei waren und er auf den Knopf drückte, sich umdrehte und sagte: „Würden Sie auch in München arbeiten?“ – „Ja...“ – „Ja, dann rufen Sie Montag meinen Produktionsleiter an.“ Und so bin ich nach München gekommen. Da hab ich erst ein Fernsehspiel gemacht und dann während dieses Fernsehspiels hat er mir schon von der WEIßEN ROSE erzählt, da gab es aber Probleme, war ja ein heikles Thema in der Förderung, wurde zwei-, dreimal abgelehnt, das war ziemlich kritisch.

Was ist das Entscheidende, damit es zwischen Ihnen und dem Regisseur über mehrere Filme hinweg funktioniert wie bei Michael Verhoeven oder Peter Timm?

Michael Verhoeven und ich sind schon sehr politische Naturen, also im wörtlichen Sinne. Gerade diese sozialkritische, soziale Komponente, das ist uns beiden relativ schnell unbewusst klar geworden. Das ist das eine. Das andere ist Emotionalität, Ausdrucksweise. Das sind die Dinge, denke ich, die sehr stark wirken in einer guten Zusammenarbeit, abgesehen davon, dass man sich mag. Aber das entwickelt sich ja auch. Eine Freundschaft braucht viel Zeit, sie muss wachsen. Und sie ist gewachsen zwischen mir und Michael Verhoeven. Und wenn du dann einen Film machst und den nächsten, dann spürst du schon, wo die Leidenschaften sind. Das ist eine Symbiose, eine Einheit, die sich durch Komponenten wie Interessen, Berührungspunkte, Schnittpunkte festmachen lässt. Ich habe meine schönsten Filme mit Michael Verhoeven gemacht, also inhaltlich, meine Fernsehspiele mit ihm sind mindestens genauso gut wie die Kinofilme. Wir haben DIE URSACHE gemacht, von Leonard Frank. Ein toller Film, der ist ungeheuer schön, der hat die sozialen Aspekte, da finde ich mich wieder. Oder DIE MUTPROBE über Wehrdienstverweigerer. Das sind alles wunderbare Fernsehspiele, da hängt mein Leben genauso dran wie an den anderen. Und ich mache da auch keinen großen Unterschied. Natürlich ist ein Kinofilm in der Wahrnehmung ganz anders, aber für mich persönlich sind die anderen Filme genauso wichtig.

Gesellschaftlich und politisch relevant sind ja auch die Dokumentarfilme, die Sie in den 1980ern zum Beispiel mit November Film gemacht hast, SCHADE, DASS BETON NICHT BRENNT zum Beispiel über die Hausbesetzerszene.

Ja, November Film, das war diese Clique, die damals um das Hamburger Filmhaus herum sich entwickelt hatte, Wolfgang Schukrafft, Niels Bolbrinker und die Wendländische Filmkooperative und so. Die haben nicht unbedingt mit mir alle geschnitten, aber sie haben mich dazu geholt oder ich habe geholfen, man war im Gespräch. Das war ja ein reger Austausch damals, als das Filmhaus hier in Hamburg etabliert wurde, da war ja richtig was los in der Szene.

Haben Sie Film als eindeutig politisches Mittel verstanden?

Ja, eindeutig. Ob sie es wirklich schaffen, etwas zu verändern, ist eine andere Sache. Aber es ist der Anspruch da, Dinge zu verändern. Alle, die an solchen Filme arbeiten, oder ich hoffe es zumindest, wollen ja auf eine Linie kommen, wollen sagen: „Atomkraft, wozu?“ Dann willst du doch was verändern, das machst du doch nicht aus Spaß an der Freude. Das Material hat schließlich auch Geld gekostet. Und wenn du mit diesem politischen Hintergrund losgehst, dann willst du doch, dass sich ein Bewusstsein entwickelt. Es muss ja nicht immer ein Riesenumsturz sein. Aber ein Bewusstsein für die Problematik, das würde ja schon reichen.

Auch ein Film wie SCHULZ UND SCHULZ ist auf seine Art sehr politisch.

Ich bin ja ein West-Ossi und natürlich war das ein Zuckerschlecken. Das war ein ziemlicher Erfolg in der Fernsehausstrahlung, wurde ja zigmal wiederholt. Aber als wir in der Mischung saßen, da kam die Nachricht vom Sturz Honeckers, und da waren wir erst mal am Boden zerstört. Denn wir haben gedacht, wir können den ganzen Film erstmal in die Tonne treten.

Aber im Nachhinein: Es war der erste Film zur Wende!

Ja, im Nachhinein. Aber in dem Moment saßen wir da in der Mischung und dachten: „Oh, mein Gott.“

Die deutsche Filmszene hat sich ja rasant entwickelt, zur Zeit kommen rund 100 deutsche Kinofilme pro Jahr ins Kino. Ist der Druck auf die Kreativen größer geworden?

Ich glaube nicht, dass der Druck größer geworden ist. Die Konkurrenz ist größer geworden. Es gibt mehr Fachleute auf dem Markt und jede Menge Filmschulen. Früher als ich angefangen habe, da kam gerade erst Berlin hoch. Da gab es München und natürlich Babelsberg, aber die war für uns nicht erreichbar. Damit muss man rechnen, wenn man viel ausbildet, dass viele Fachleute auf dem Markt sind. Und viele Fachleute wollen viele Filme machen. Und ich find das toll, wenn sie es schaffen, das zu finanzieren. Die neuen Techniken machen es ja auch für einige leichter.

Machen Sie aus heutiger Sicht einen Unterschied zwischen Kino und Fernsehen aus in der Art, wie Sie schneiden?

Für mich hat es nie wirklich einen Unterschied gemacht. Wenn du jetzt mal zurück in die analoge Schneideraumzeit gehst, da war ein Unterschied im Handwerklichen zu spüren. Die Vertonung eines Kinofilms ist aufwendiger und anders geartet als für ein Fernsehspiel. Damals war Fernsehen immer Mono, da war Schluss mit lustig, und eine Riesentotale hast du im Fernsehen auch eher selten. Aber der Bildschnitt als solches, der eigentliche Schnitt, das Kreative, der ist im Fernsehen nicht anders als im Kino. Allerdings brauche ich Erfahrung, wie einzelne Schnitt in ihrer Länge im Kino wirken. Ich schneide ja auch nur auf dem kleinen Monitor und muss dann kann ins Kino gehen, um zu sehen: „Oh, das war zu kurz. Das muss länger.“ Das sind Erfahrungswerte, die muss man sammeln. Learning by doing ist da wichtig. Beim nächsten Kinofilm setzt du das anders um, schon beim ersten Schnitt.
Film+ ist eine Veranstaltung des Filmmagazins Schnitt in Zusammenarbeit mit der Filmstiftung NRW und der Stadt Köln
und wird unterstützt vom Kulturwerk der Verwertungsgesellschaft Bild-Kunst